Als die Israeliten im 6. Jhrd. aus ihrem Exil in Babylon zurückkehrten, sprachen die meisten von ihnen kein Hebräisch mehr. Sie sprachen aramäisch. Trotzdem wurden die Schriften immer auf Hebräisch gelesen, auch wenn niemand in der größeren Gemeinschaft es sprechen konnte. Schriftgelehrte wie Esra u.a. arrangierten den Text so, daß er gelesen und verstanden werden konnte.
Nachdem das Volk einen Priester gehört hatte, wie er einige Verse der Torah-Rolle auf Hebräisch gelesen hatte, hörten sie eine Übersetzung auf Aramäisch, Targum genannt, was einfach Übersetzung bedeutet.
Die Schriftgelehrten besaßen die Ehrfurcht Gottes vor seinem unaussprechlichen Namen, um nicht den Namen Gottes auszudrücken. Sie zogen es vor, ihn nicht zu sprechen oder zu schreiben. Daher ersetzten sie in vielen Fällen, in denen das Tetragrammaton vorkam, durch Adonai.
Bullinger schrieb
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Aus extremer (aber irrtümlicher) Ehrfurcht vor dem unbeschreiblichen Namen ersetzten die alten Hüter des Heiligen Textes an vielen Stellen Adonai
Aus diesem Grund verwendet die King James anstelle des Tetragrammatons das Wort HERR.
Aus dem gleichen Grund, daß Gottes heiliger Name unaussprechlich war, änderten die Targums alle Fälle, in denen Gott den Menschen persönlich erschien. In diesen Fällen änderten sie das Wort
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YHWH
oder
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YHWH Elohim
in
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das Wort.
In der jüdischen Enzyklopädie heißt es
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"Das Wort" im Sinne des schöpferischen oder leitenden Wortes oder der Rede Gottes, das seine Macht in der Welt der Materie oder des Geistes manifestiert; ein Begriff, der vor allem im Targum als Ersatz für "den Herrn" verwendet wird, wenn ein anthropomorpher Ausdruck vermieden werden soll.
Das Hebräische für Wort ist memar (dt. Memra).
Es kommt aus dem Aramäischen imrah und bedeutet Gebot, Sprache oder Wort.
Es ist das Äquivalent von logos im Griechischen.
In den Targums wird Memra verwendet in Fällen, in denen Gott gegenüber Menschen auftritt oder für Gott, wenn er mit einem Menschen spricht
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Und sie hörten die Stimme Gottes des HERRN, der im Garten wandelte, als der Tag kühl war; und der Mensch und seine Frau versteckten sich vor dem Angesicht Gottes des HERRN hinter den Bäumen des Gartens. 1.Mo.3,8 (Schlachter)
And they heard the voice of the Word of the Lord God walking in the garden in the evening of the day; and Adam and his wife hid themselves from before the Lord God among the trees of the garden. Targum Onkelos
Und sie hörten die Stimme des Wortes des Herrn Gottes, der am Abend des Tages im Garten ging; und Adam und seine Frau versteckten sich vor dem Herrn Gott unter den Bäumen des Gartens. Targum Onkelos, dt.
Memra oder das Wort teilt das Wesen Gottes und ist gleichzeitig ein Bote Gottes. Diese Verwendung der Memra rationalisiert jede Erscheinung Gottes für den Menschen.
In seinem Evangelium sagt uns der Apostel Johannes, daß das Wort im Anfang mit Gott und das Wort Gott war. Christen verstehen, daß Johannes über Jesus sprach.
Memra ist das Aramäische für Wort, das im Griechischen Logos ist. Der Begriff Memra leitet sich aus den Psalmen ab
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Die Himmel sind durch das Wort des HERRN gemacht, und ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes. Ps.33,6
בדבר יהוה שמים נעשו וברוח פיו כל־צבאם
Die hebräische Wurzel für Memra hier ist דָּבָר dabar, im Text ist es die gebeugte Form בדבר (bidbar).
Dieser Vers stimmt völlig mit dem überein, was Johannes bezeugt
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Alle Dinge wurden von ihm gemacht; und ohne ihn wurde nichts gemacht, was gemacht wurde. Joh.1,3
In einer Passage aus den Psalmen wird gezeigt, daß das Wort wie ein Mensch läuft
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Er sendet seinen Befehl auf die Erde; sein Wort läuft sehr schnell. Ps.147,15
Und in Jesaja geht das Wort aus und vollbringt den Willen Gottes
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Denn gleichwie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, bis er die Erde getränkt und befruchtet und zum Grünen gebracht hat und dem Sämann Samen gegeben hat und Brot dem, der isst — genau so soll auch mein Wort sein, das aus meinem Mund hervorgeht: Es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird ausrichten, was mir gefällt, und durchführen, wozu ich es gesandt habe! Jes.55,10-11
Nach Angaben der Juden für Jesus sind die Targums mit der Memra, dem Wort Gottes, gefüllt, aber der Talmud schweigt darüber. Das liegt daran, daß er nach der Ankunft Christi geschrieben wurde und die Rabbiner dies als Reaktion auf das Christentum unterdrückten. Sie wollten Jesus von Nazareth nicht mit der Memra verbinden. Das wäre ein Bekenntnis gewesen, daß Jesus in der Tat Gott bei uns war, denn das Wort bzw. Memra ist eine Theophanie.
Theophanie ist das Auftreten einer Gottheit für einen Menschen. Es gibt viele davon in der Schrift. So erschien Gott Adam, Eva, Abraham, Isaak, Jakob, Moses, Gideon, Manoah und seiner Frau, Jesaja, Hesekiel und anderen, von Angesicht zu Angesicht.
Jesus der Christus war die ultimative Theophanie.
Aus der jüdischen Enzyklopädie entnimmt man folgendes Zitat
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In der alten Kirchenliturgie, die von der Synagoge übernommen wurde, ist es besonders interessant zu sehen, wie oft der Begriff "Logos" im Sinne von "das Wort, mit dem Gott die Welt gemacht hat, oder sein Gesetz oder sich selbst den Menschen bekannt gemacht hat" in "Christus" umgewandelt wurde. Möglicherweise wegen des christlichen Dogmas hat die rabbinische Theologie außerhalb der Targum-Literatur den Begriff "Memra" wenig benutzt.
Und aus der katholischen Enzyklopädie:
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Im palästinensischen Rabbinismus wird das Wort (Memra) sehr oft erwähnt, zumindest in den Targums: Es ist das Memra von Jahweh, das lebt, spricht und handelt, aber wenn man versucht, die Bedeutung des Ausdrucks präzise zu bestimmen, erscheint es oftmals nur als eine Paraphrase, die der Targumist anstelle des Namens Jahveh einsetzt. Das Memra ähnelt dem Logos von Philo so wenig wie das Wirken des rabbinischen Geistes in Palästina den Spekulationen Alexandrias ähnelte: Die Rabbiner sind hauptsächlich besorgt über Rituale und Befolgungen; aus religiösen Bedenken wagen sie es nicht, Jahweh Taten zuzuordnen, wie die heiligen Bücher, die Ihm zuzuschreiben sind; es genügt für sie, die göttliche Majestät unter einer abstrakten Paraphrase, das Wort, die Herrlichkeit, die Wohnstätte und andere zu verschleiern. Philos Problem war von der philosophischen Ordnung; Gott und Mensch sind unendlich weit voneinander entfernt, und es ist notwendig, Beziehungen zwischen Handlung und Gebet herzustellen. Der Logos ist hier der Vermittler.
Wir können sehen, dass der göttliche Logos ein Konzept war, das von den Juden zur Zeit Christi völlig akzeptiert wurde. Als Johannes sein Evangelium schrieb, war er sich der Verwendung des Wortes Memra als Erscheinung Gottes für Menschen voll bewusst. Es war zu seiner Zeit allgemeiner Gebrauch.
Als er die Worte schrieb
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Im Anfang war das Wort (Memra), und das Wort (Memra) war bei Gott, und das Wort (Memra) war Gott...Und das Wort (Memra) wurde Fleisch und wohnte unter uns; und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Joh.1,1 .14
benutzte er dasselbe Thema wie die Autoren der Targums, als sie den Text ins Aramäische übersetzten. Wenn er auf Aramäisch geschrieben hätte, hätte er in der Tat das Wort Memra benutzt. Auf diese Weise stellt er Christus so dar, als teile er einerseits die Natur Gottes, er andererseits aber auch eine von Gott getrennte Essenz aufweise
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Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; auf ihn sollt ihr hören! Mt.17,5
Jüdische Theologen aus der Zeit des Apostels haben der Memra sechs Attribute zugeschrieben. Johannes hat im ersten Kapitel seines Evangeliums Jesus jedes Attribut zugewiesen.
Die Attribute sind:
Das Memra ist verschieden und doch dasselbe wie Gott (und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Joh.1,1).
Das Memra war das Werkzeug der Schöpfung (Alle Dinge wurden von Ihm gemacht; Joh.1,3, und die Welt wurde von ihm gemacht Joh.1,10).
Das Memra war das Werkzeug der Errettung (Allen aber, die ihn aufnahmen, denen gab er das Anrecht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben Joh.1,12).
Das Memra war die sichtbare Gegenwart Gottes oder Theophanie (Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns Joh.1,14).
Das Memra war der Initiator des Bundes (Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Joh.1,17).
Das Memra war der Offenbarer Gottes (Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat Aufschluss [über ihn] gegeben. Joh.1,18).
Diese Attribute unterstreichen, daß Johannes diesem jüdischen Konzept gefolgt ist und gezeigt hat, daß Jesus in der Tat der Messias gewesen ist.
Es kann nichts jüdischer sein als die Idee, daß am Anfang das Wort war. Das jüdische Volk wurde mit dem Memra als Wort des HERRN sehr vertraut, weil es in den Synagogen hunderte Male davon gehört hatte.
Es ist ein genuin jüdisches Konzept. Die Targums geben darüber unwiderlegbares Zeugnis ab. Sie liefern wichtige Einblicke in das damalige Verständnis der Hebräer. Die Interpretation der Bedeutung der Wörter Logos und Memra zeigt, daß Judentum und Christentum einige der gleichen theologischen Lehren haben. Jüdische Schriftgelehrte haben bereits erkennen können, daß Gottes Wort in gewisser Weise von Gott, dem Vater selbst, unterschieden werden kann, und doch die ganze Fülle Gottes in ihm enthalten ist.